Wenn Vertrauen der Schlüssel zur nachhaltigen Veränderung ist: Herberts Weg zu mehr Bewegungsfreiheit
- Vero Reis
- 9. Nov.
- 4 Min. Lesezeit
In meinem Beruf begegne ich vielen unterschiedlichen Charakteren, aber Herbert, ein siebenjähriges deutsches Reitpony, hat mich auf eine besondere Weise berührt. Schon beim ersten Treffen spürte ich: Hier geht es nicht nur um körperliche Blockaden, sondern um ein tief sitzendes Misstrauen, um alte Erfahrungen, die sich nicht nur im Geist, sondern auch im Körper manifestiert haben.
Wenn der Körper „Nein“ sagt
Herbert zeigte mir sofort sehr deutlich, wo seine Grenzen lagen.
Jede Berührung im Bereich von Kopf und Hals führte zu massiver Abwehr - nicht nur mit typischen Abwehrreaktionen, sondern mit echter Aggression.
Bei der ersten Ganganalyse war klar: Die Bewegung durch den Rücken ging nicht einmal ansatzweise durch. Als ich dann sah, dass sein Sattel bei jeder Bewegung hin- und herrutschte, wusste ich, dass die Ursache tiefer reichte.
Ein schlecht angepasster Sattel kann so viel kaputt machen - nicht nur in der Muskulatur, sondern im Vertrauen zwischen Pferd und Mensch.
Die unsichtbaren Folgen einer falschen Sattelanpassung
Ein nicht passender Sattel beeinträchtigt die gesamte Biomechanik des Pferdes. Druckstellen, Schonhaltungen und asymmetrische Bewegungen führen langfristig zu Bewegungseinschränkungen, Muskelabbau und Verspannungen. Aber was viele unterschätzen: Auch das Nervensystem des Pferdes reagiert auf diese ständigen Reize. Es wird übererregt, das Pferd ist nicht mehr in der Lage, sich zu entspannen oder Vertrauen zu fassen.
Bei Herbert hatte sich dieses Muster über Jahre gefestigt. Seine Muskulatur war nicht nur verspannt, sondern „vergessen“, wie sich freie Bewegung überhaupt anfühlt. Und genau da setze ich in meiner Arbeit an - mit feinem Gespür, gezielter Pferdemassage und Mobilisationstechniken, die den Körper sanft an Bewegung erinnern.
Die Kunst, zuzuhören mit den Händen
Wenn ich mit einem Pferd arbeite, geht es mir nie darum, ein Programm „abzuarbeiten“. Ich sehe jedes Pferd als Individuum, das mir in jeder Sekunde zeigt, was gerade möglich ist und was nicht. Bei Herbert bedeutete das: Langsamkeit. Geduld. Und vor allem - echtes Zuhören.
Nicht einmal konnte ich bisher eine komplette Einheit durchführen. Weder eine vollständige Palpation noch eine durchgehende Massage waren möglich.
Doch in jeder Sitzung zeigte sich ein kleiner Fortschritt: ein tiefer Atemzug, ein Moment, in dem er den Kopf senkte, ein sanftes Loslassen im Rücken.
Diese feinen Signale sind für mich der größte Erfolg. Sie zeigen, dass Vertrauen wächst - Schritt für Schritt, Muskel für Muskel.
Körperarbeit beginnt im Vertrauen
Gerade bei traumatisierten oder überreizten Pferden ist Körperarbeit mehr als reine Technik. Sie ist Kommunikation, Wahrnehmung, Begleitung.
Bei Herbert war von Anfang an klar: Wir gehen diesen Weg in seinem Tempo. Manche Tage sind besser, manche schwieriger, aber jedes kleine Stück Losgelassenheit ist ein Sieg.
Auch wenn es bislang noch nicht möglich war, mit ihm eine vollständige Einheit durchzuführen, zeigen die bisherigen Fortschritte deutlich, wie viel sich verändern kann, wenn Körper und Vertrauen Schritt für Schritt zusammenfinden. Diese Entwicklung war auch im letzten Reel von seiner Bereiterin, Victoria Gaisberger-Fabian, gut zu erkennen - kleine, aber spürbare Unterschiede in seiner Bewegung, seiner Aufmerksamkeit und seinem Ausdruck.
Und genau das verdeutlicht, wie wichtig die Zusammenarbeit aller Beteiligten ist: Trainer/Bereiter, Pferdephysios/-masseure, Hufschmiede und Tierärzte tragen gemeinsam dazu bei, dass ein Pferd sich langfristig in Balance bewegen kann.
Nachhaltige Körperarbeit ist nur dann möglich, wenn die Besitzer und Reiter zwischen den Terminen konsequent und pferdegerecht weiterarbeiten.
Geduld als Teil des Prozesses
Viele erwarten, dass ein Einzeltermin sofort sichtbare Ergebnisse bringt.
Doch gerade bei Pferden wie Herbert ist Geduld der entscheidende Faktor.
Jede physiologische Veränderung braucht Zeit.
Jede neue Bewegung muss sich im Nervensystem verankern. Jede Erfahrung mit Berührung, die nicht weh tut, stärkt das Vertrauen.
Ich weiß, dass wir in unserer Jahresbegleitung dorthin kommen werden, wo Entspannung selbstverständlich wird. Eines Tages – vielleicht in einem Jahr – werden wir gemeinsam sagen können: Heute war es einfach eine ganz gewöhnliche, entspannte Einheit.
Warum Feinfühligkeit der Schlüssel ist
Ich habe in meiner Arbeit gelernt, dass Wissen allein nicht reicht.
Ein gutes Verständnis für Biomechanik, Muskulatur und Sattelanpassung ist die Basis, aber das Herzstück ist Empathie. Es ist das Gefühl, wann man weitergehen darf und wann innehalten sollte. Diese Feinfühligkeit ist keine Technik, sie ist Haltung. Sie schafft Vertrauen und Vertrauen ist die Grundlage für jede Heilung, ob körperlich oder seelisch.
Fazit
Herberts Geschichte zeigt mir immer wieder, dass jedes Pferd sein eigenes Tempo hat – und dass körperliche Entwicklung und Vertrauen eng miteinander verbunden sind. Fortschritt ist nicht immer in vollständigen Einheiten oder schnellen Erfolgen messbar. Oft sind es die vielen kleinen Schritte, die den Unterschied machen: ein Moment mehr Vertrauen, ein Atemzug tiefer, eine Bewegung freier.
Meine Aufgabe ist es, die körperliche Entwicklung so zu begleiten, dass sie sich Schritt für Schritt festigen kann - immer im Einklang mit dem, was das Pferd gerade zulässt. Und genau hier zeigt sich, wie wichtig Zusammenarbeit ist:
Wenn Bereiter/Trainer, Hufschmiede, Tierärzte, Pferdephysios/-masseure ihr Wissen und ihre Erfahrung verbinden, entsteht nachhaltige Veränderung.
Denn echte Leichtigkeit kann nur entstehen, wenn Wissen, Gefühl und konsequente Arbeit ineinandergreifen.
Wenn du spürst, dass dein Pferd sich in seiner Bewegung eingeschränkt zeigt, Schwierigkeiten mit dem Loslassen hat oder nach einem passenden Sattel immer noch nicht entspannt läuft, dann schau genau hin. Manchmal braucht es einfach jemanden, der zuhört - mit Herz, Verstand und Händen.



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