Vorwärts - das physiologische Fundament jeder Ausbildung
- Vero Reis
- 8. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Warum ehrliches Vorwärts der Schlüssel für Losgelassenheit, Rumpfaktivität und echte Versammlung ist
„Reite dein Pferd vorwärts“ sollte man auf jedem Reitplatz hören.
Aber was bedeutet Vorwärts physiologisch wirklich. Ehrliches Vorwärts ist mehr als Tempo. Es ist der Motor, der die Biomechanik des Pferdes überhaupt erst in die richtige Richtung bringt.
Vorwärts bedeutet: Der Körper schwingt, nicht hetzt.
Ein Pferd, das wirklich vorwärts geht, bewegt sich mit deutlich sichtbarer Schwingung der Wirbelsäule. Die Oberlinie schwingt locker mit. Der Takt bleibt klar. Die Hinterhand greift aktiv nach vorne und nimmt Last auf, die über den Rumpf weitergegeben wird.
So entsteht ein Bewegungsfluss, der vom Hinterbein über den Rücken nach vorne durch den gesamten Körper läuft. Erst dann kann sich das Pferd loslassen, die Oberlinie dehnen, die Bauchmuskulatur aktivieren und langfristig Tragkraft entwickeln.
Was im Körper passiert, wenn das Pferd vorwärts geht
Aus physiotherapeutischer Sicht aktiviert ehrliches Vorwärts mehrere Systeme gleichzeitig.
1. Das myofasziale System
Rhythmischer Bewegungsfluss aktiviert die dorsale Faszienkette vom Schweif bis ins Genick. Diese Spannung speichert Energie beim Auffußen und gibt sie in der Bewegung wieder ab. Die Bauchmuskeln werden reflektorisch mit aktiviert, wodurch der Rücken aufgewölbt und getragen wird.
Fehlt dieser Fluss, bleibt die Faszienkette inaktiv. Die Bewegung wirkt steif, abgehackt oder spannig.
2. Das neuromuskuläre System
Taktreiner Bewegungsfluss koordiniert die tiefen Stabilisatoren wie den
m. multifidus entlang der Wirbelsäule. Diese Muskeln sichern Haltungskontrolle und Balance. Durch rhythmische Bewegung entstehen propriozeptive Reize, die das Nervensystem aktivieren. Das ist entscheidend für Gleichgewicht, Stabilität und Bewegungsfreude.
Wenn Pferde nicht wirklich vorwärts gehen, schalten sie ihre tiefe Stabilität oft ab. Der Rücken wird passiv und der Reiter beginnt unbewusst, das Pferd mitzutragen, anstatt selbst getragen zu werden.
3. Atmung und Kreislauf
Ein Pferd, das mit Freude vorwärts geht, atmet tiefer. Die Zwerchfellbewegung wird größer, was die Rumpfhebung unterstützt. Die Durchblutung verbessert sich. Das beugt Verspannungen vor und steigert die Leistungsfähigkeit.
Wenn ein Pferd zwar zügig, aber verspannt läuft, erkennt man das an flacher Atmung, einem unbeweglichen Rücken und einer festgehaltenen Oberlinie.
Fehlendes Vorwärts – typische Probleme
Fehlt echtes Vorwärts, zeigen sich häufig wiederkehrende Muster. Die Rückenbewegung fehlt. Die Rumpfmuskulatur arbeitet nicht mit.
Die Oberlinie wird festgehalten. Der Takt verändert sich, die Anlehnung wird unruhig. Manche Pferde laufen mit zu wenig Energie, andere werden durch Spannung hektisch und unausgeglichen. Die Hinterhand kann nicht ausreichend Last aufnehmen. Versammlung wird biomechanisch unmöglich.
In dieser Phase versuchen viele Reiterinnen und Reiter, Rahmen oder Form zu korrigieren, bevor der Körper überhaupt die nötige Grundlage hat.
Was ein Pferd physiologisch braucht, um mit Freude vorwärts zu gehen
Ehrliches Vorwärts entsteht, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Schmerzfreiheit und Mobilität sind entscheidend.
Gelenke, Faszien und Muskulatur müssen frei beweglich sein.
Die tiefen Stabilisatoren müssen ansprechbar sein, um die Bewegung zu tragen. Das Pferd braucht mentale Sicherheit und klare Hilfen, um loslassen zu können. Es muss sein Gleichgewicht finden, anstatt nach vorne zu kippen.
Ein zusätzlich stabiler, ausbalancierter Reitersitz gibt dem Pferd die Möglichkeit, selbst zu tragen, ohne durch den Sitz blockiert zu werden.
Vorwärts zuerst, alles andere folgt
Ohne echtes Vorwärts gibt es keine ehrliche Dehnung. Keine Losgelassenheit. Keine Rumpfaktivität. Und keine Versammlung.
Vorwärts ist die Basis der gesamten Ausbildung. Es aktiviert die Mechanismen, die der Körper für gesunde, tragfähige Bewegung braucht. Erst wenn dieser Bewegungsfluss etabliert ist, kann sinnvoll an Seitengängen, Versammlung oder höheren Lektionen gearbeitet werden.
Praxis-Tipp
Echtes Vorwärts entsteht oft schon vor dem Reiten. Kurze aktivierende Massage, Dehnungs- und Mobilisationsübungen. Gezieltes Aufwärmen, das Rumpf und Hinterhand vorbereitet.
Im Training selbst ist weniger Rahmen und mehr Bewegungsfluss oft der entscheidende Schritt. Das Pferd soll in aktiver Dehnung nach vorne greifen können. So werden die richtigen Muskeln angesprochen.
Fazit
Ehrliches Vorwärts ist der Motor der Ausbildung. Es aktiviert Muskeln, Faszien und das Nervensystem, fördert Losgelassenheit und schafft die Grundlage für Tragkraft. Versammlung ohne Vorwärts ist wie ein Haus ohne Fundament.
Es bricht früher oder später zusammen.
Mehr dazu
Im EquiFlow Workbook findest du erste Übungen, mit denen du Mobilität und Vorwärts aktiv vorbereiten kannst. Es enthält einfache Übungen, die den Bewegungsfluss verbessern und die Basis für echte Tragkraft legen.
Wenn du möchtest, dass ich mir dein Pferd vor Ort ansehe und dir individuell zeige, wie ihr physiologisch korrekt vorwärts arbeiten könnt, sichere dir einen Termin.


Kommentare